Hautbild – Bildhaut von Susanne Greinke

Hautbild – Bildhaut

von Susanne Greinke, Berlin 2011

Malerei und Tattoo bei Annedore Dietze

 

Ein wuchtiger Rücken, eine Wade oder Brust, die sich dem Blick des Betrachters entgegenwölben. Die Haut, die diese Körperteile umspannt, ist vielfarbig, versehrt, von Spuren und Bildern bedeckt. Sie erscheint als Hautlandschaft, Narbengebiet und Bildträger.

„Tattoo“ nennt Annedore Dietze die im letzen Jahr entstandene Werkgruppe, in der sie sich intensiv mit der Darstellung der Haut auseinandersetzt, Paradoxon und Herausforderung zugleich.

Die menschliche Haut ist ambivalent, übersät mit Sensoren, wird sie dem Taktilen zugeordnet. Als durchscheinende Grenzzone zwischen Innen und Außen verdeckt sie das Innere des Körpers und vermag gleichzeitig seinen Zustand abzubilden, sofern ihre Sprache verstandenen und die Zeichen richtig gedeutet werden. Dabei geht es nicht nur um pathologische Zustände. In der Haut ist das Selbst beheimatet. Sie ist Ort der Selbstveräußerung, ein Seelenspiegel1. Das macht die Haut zu einem Kommunikationsmedium, zur Projektionsfläche individueller Befindlichkeiten wie zur Leinwand für die jeweiligen Kultur. Definiert doch die Kultur, jeglicher Individualität zum Trotz das Zusammenspiel von Oberfläche und dem Dahinter. Davon bleibt auch die Eigenwahrnehmung nicht verschont. Das lässt die Haut zu einem „Schauplatz“2 des Existentiellen werden auf dem sich das Visuelle mit dem Taktilen verbindet.
Wohl aus diesem Grund, berührt uns die Darstellung von Haut durch die Malerei auf besondere Weise. Diese Darstellung kann, wenn sie nicht illusionistisch sein will und das Transluzide und Belebte durch die Schichtung lasierender Farben nachvollzieht, über die Vielfarbigkeit von übereinandergelagerten Flecken und Pinselschwünge erfolgen. Eine solche Form der Malerei legt die Anatomie der Bildwerdung offen, verweist auf die Zeitlichkeit des Malprozesses und bildet eine Entsprechung für die Idee der Haut als„(…) Depot der Erinnerungen, als Lager für die dort eingegrabenen Erfahrungen, (…)“.3 Ein Weg den auch die Malerin Annedore Dietze beschreitet. So lässt es sich erklären, dass man in ihren Bildern vergeblich nach jenem gängigen ästhetischen wie kosmetischen Ideal der Haut als makelloser Membran sucht, einer Haut die geschichtslos und entindividualisiert einen ideal gebauten Körper umschließt. Dietze will sich reale Haut ermalen. Der Reiz makelloser Oberflächen interessiert sie nicht.
War die reale Haut in früheren Bildfolgen jene geschundener Kämpfer, deren Wunden und Male sie als Binnenzeichnung ins Verhältnis zu den großen Körperflächen setzte, ist die Haut nun von nahezu poetisch anmutenden Tattoos gezeichnet – Bilder auf der abgebildeten Haut, sich verdoppelnde Leinwände.

Einige der Figurationen und Ornamente verbinden sich zu Hautkleidern, bedecken die abgebildeten Körperteile wie durchscheinende Spitzen oder Gewebe, während manche der in die Haut gezeichneten Vögel oder Schmetterlinge so erscheinen, als hätten sie sich nur flüchtig niedergelassen. Andere wirken wie frisch eingekerbt. Bildentstehung und Verwundung sind dann eins, die Verletzung der Haut wird in das heftige Stakkato des Pinsels auf der Leinwand übersetzt, als kerbten sich die Linien der Zeichnung oder die getrockneten Ränder des Farbflusses in den gemalten Hautgrund.

Im Unterscheid zu älteren Bildserien Dietzes, die den Körper vorwiegend im Moment der Bewegung festhielt, stellt sie in der Bilderfolge „Tattoo“ den Aspekt des Präsentierens, des Zeigens in den Mittelpunkt. Der Fokus richtet sich auf das Körperdetail, das sich aus zumeist dunklen, kaum definierbaren Hintergrund hebt. Die Möglichkeit von Bewegung bezieht sich auf die Darstellung der Hautoberfläche und den darauf abgebildeten Motiven. Diese Form des Fragmentierens und Zeigens entspricht dem fotografischen Material, von dem sich Dietze anregen ließ: Fotografien eines unbekannten französischen Dermatologen aus den 30er Jahren, Filme, Bildmaterial aus der Tattoo-Szene, wie vom Altmeister der deutschen Tätowierer Herbert Hoffmann. Angelehnt an diese Vorlagen klingt in einigen Arbeiten das Stigma der Tätowierten als Outlaws an, denn bevor die Tätowierung zum tolerierten Körperschmuck avancierte, war sie in ihren europäischen Anfängen Merkmal der edlen Wilden, später Jahrmarktsattraktion und parallel dazu Stigma der Kriminellen, der Seeleute und Huren. Diese trugen ihre realen oder erträumten Biografien in Bilder und Zeichen übersetzt und in ihre Haut geritzt zur Schau. Die Haut war Tagebuch und Bekenntnisort für die Zugehörigkeit zu einer vermeintlichen Gegenwelt 4.

Annedore Dietze hat ihre Hautbilder in Bildhäute verwandelt.

 


[1] Vgl. Claudia Benthin: Haut. Literaturgeschichte-Körperbilder-Grenzdiskurse, Reinbeck, 1999, SA. 111-129.

[2] Vgl. Karl-Josef Pazzini: Haut. Berührungssehnsucht und Juckreiz, in: Claudia Benthien, Christoph Wulf (Hg.): Körperteile. Eine kulturelle Anatomie, Reinbeck 2001, S. 158.

[3] Michel Serres: Die fünf Sinne. Eine Philosophie der Gemenge und Gemische, Frankfurt am Main 1993, S. 95.

[4] Zur Geschichte der Tätowierung in ihren unterschiedlichen Funktionen vgl. Stephan Oettermann: Zeichen auf der Haut. Die Geschichte der Tätowierung in Europa, Hamburg 1994.